Ein Landwirt läuft mit einer ungewöhnlich aussehenden Brille auf dem Kopf durch seine Kuhherde im Stall und tippt mit den Händen vor seiner Nase in der Luft herum. Dabei hält er den Kopf seltsam nach oben, als könne er etwas Bestimmtes vor sich sehen, was sonst für niemand anderen sichtbar ist. Können Sie sich ein solches Szenario vorstellen? In wenigen Jahren könnte dies schon zum normalen Alltag auf technisch fortschrittlichen Milchviehbetrieben gehören. Doch was steckt dahinter?

Augmented Reality (kurz: AR) – so heißt die Verknüpfung der physischen mit der digitalen Welt. Die Augmented-Reality-Technik ermöglicht dem Anwender, grafische Elemente bzw. digitale Informationen in die Umgebung der realen Welt einzubauen. Dafür werden die digitalen Elemente auf die Linse der dazu notwendigen AR-Brille projiziert und diese zeigen beispielsweise weiterführende Informationen der Objekte an, auf die man gerade schaut. Die Objekte sind in diesem Fall die Kühe im Stall. In der Brille befindliche Sensoren und eine Infrarot-Kamera messen die Umgebung, in der man sich befindet.

Das niederländische Unternehmen Nedap bietet diese Technologie zukünftig an. Dafür haben die Produktentwickler die Hololens-Brille von Microsoft verwendet, die mit einer eigens entwickelten App mit dem Herdenmanagementsystem Nedap CowControl verknüpft ist. Die App ist speziell für das Modell der Hololens-Brille entwickelt worden, soll laut Unternehmensangaben auch nach der Entwicklungsphase aber für andere bis dahin am Markt befindlichen AR-Brillen funktionsfähig sein.

Was bietet die Technologie?

Die App bietet vier Funktionen, die im Blickfeld oberhalb der Kühe sichtbar werden und darüber genutzt werden können: die Brunst, Fruchtbarkeit, Gesundheit und die Positionsbestimmung der einzelnen Kuh im Stall. Wählt man das Tool Brunst, blendet die Brille dem Anwender alle Kühe ein, die sich laut Sensoren in der Brunst befinden. Geht man dann zu einer diese Kühe hin, werden die gesamten Daten zum Brunstverlauf dieser Kuh auch aus der Vergangenheit angezeigt. Außerdem sieht man eine Empfehlung für den optimalen Besamungszeitpunkt. Wählt der Anwender das Tool Fruchtbarkeit aus, erhält er Informationen bezüglich einer Trächtigkeitskontrolle oder Fruchbarkeitskontrolle. Die Brille zeigt z. B. an, vor wie vielen Tagen die Kuh, auf die er schaut, besamt wurde sowie weitere Fruchtbarkeitsdaten. Bei der Option Gesundheit werden Kühe mit abnormalem Verhalten angezeigt und der Landwirt kann Daten über die Wiederkauaktivität, Fressaktivität und Inaktivität bis hin zu durchgeführten Behandlungen abrufen. Über die Positionsbestimmung kann er sich zu einer gewünschten Kuh navigieren lassen. Dies muss man sich folgendermaßen vorstellen: sucht der Landwirt eine Kuh im Stall, die z. B. besamt werden soll, leitet ein grüner Pfeil im Blickfeld der Brille einen durch den Stall direkt dorthin.

In Zukunft plant Nedap, auch Warnmeldungen im Blickfeld anzuzeigen, wenn eine Kuh beispielsweise längere Zeit nicht mehr den Melkroboter aufgesucht hat. Dies soll die Brille unmittelbar anzeigen und der Landwirt kann sofort reagieren.

Bedienung per Hand oder mit Sprachbefehlen

Aber nicht nur die Anzeige der gewünschten Daten ist möglich, sondern auch deren Änderung oder Eingabe von neuen Daten ermöglicht das System entweder händisch oder per Sprachsteuerung. Bei Betätigung per Hand gleicht es einem Fingerklick in der Luft.

Hilfreich ist das beispielsweise, während der Tierarzt Trächtigkeitsuntersuchungen durchführt. Statt die Kühe per Smartphone im Herdenmanagement als trächtig oder nicht trächtig einzutragen oder womöglich noch mit Zettel und Stift, ist es nun möglich, diese Eingaben direkt über die Brille zu tätigen. Erfolgt dies per Sprachsteuerung, hat der Landwirt sogar beide Hände für andere Aufgaben frei bzw. der Tierarzt könnte theoretisch auch ohne Anwesenheit des Landwirtes die Untersuchungen durchführen und gleichzeitig durch die Brille die Daten einpflegen. Zeitgleich mit jeder Eingabe sind die Daten automatisch im Herdenmanagementprogramm aktualisiert. Es ist also keine ynchronisation oder Ähnliches notwendig. Die Verbindung der Brille mit dem Herdenmanagementprogramm erfolgt über WLAN.

Voraussetzung für den Einsatz der ARTechnologie ist die Positionsbestimmung der Kühe im Stall. Eine extra Hardware ist nicht nötig, die Brille arbeitet ohne extra Prozessor. Die App, über die das jeweilige Herdenmanagementprogramm mit der Brille verbunden ist, wird laut Angaben der Entwickler für alle gängigen Herdenmanagementprogramme kompatibel sein, weil Nedap CowControl das derzeit auch ist.

In wenigen Jahren praxistauglich

Ein Entwicklerteam aus knapp zehn Leuten war neben dem Hauptverantwortlichen Roxy Müller bei Nedap über zwei Jahre an dieser Entwicklung beteiligt. Wann das System praxistauglich sein wird, hängt von der Weiterentwicklung der AR-Brille ab. Sie muss für den Einsatz im Stall noch robuster werden, um für den täglichen Gebrauch tauglich zu sein. Bislang testen nach Unternehmensangaben sieben Landwirte das System zusammen mit den Entwicklern bereits im Stall, um weitere Verbesserungen bis zum Markteintritt vorzunehmen.

Nedap ist bislang weltweit das einzige Unternehmen, welches diese Technologie für den Einsatz im Stall entwickelt hat. Sobald das System ausgereift ist und am Markt ist, wird es vermutlich auch über andere Unternehmen vertrieben, die bereits auch die Sensoren zur Brunsterkennung und Wiederkauaktivität mit der Nedap-CowControl-Technologie anbieten.

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